Einführung und künstlerische(r) Prozess(e),
Sehen sehen und Hören hören zu/bei Peter Ablinger
[Vortrag im VHS-Kurs Neue Musik]
von Jakob Lerch
Januar 2025, Hannover
Peter Ablinger, geboren am 15. März 1959 in Schwanenstadt (Österreich), ist ein Komponist. Mit sechs Jahren begann P.A. Klavier Unterricht zu nehmen und ab dem 11. Lebensjahr mit dem Komponieren. Dabei ist seither das Schreiben von Gedichten und das Malen eine permanente weitere Ausdrucksform in seinem Schaffensprozess. Mit 15 Jahren begann P.A. ein Grafikstudium in Linz, um der Mittelschule, wie er sagt, „zu entkommen“. Zur selben Zeit beginnt er seine Begeisterung für den Jazz und das Jazz-Klavier zu entwickeln, mit dem er auch in einer Jazz-Rock-Gruppe spielt. 1976 beendete Ablinger sein Grafikstudium, ohne Abschluss. In der Retrospektive sieht Ablinger seine Zeit in Linz als einen großen Gewinn zur Entwicklung und Konkretisierung seines ästhetischen Bewusstseins an, das er von Beginn an, zunächst noch unbewusst, auf die Musik überträgt. Ab 1977 beginnt Ablinger ein Studium in Jazz- Klavier in Graz bei Harald Neuwirth, wo er, besonders im ersten Jahr, 12 Stunden am Tag übt und sich mit traditionellem Jazz, Bebop, Hard Bop und Cool Jazz beschäftigt. Schließlich hört P.A. 1978 ein Konzert des amerikanischen Avantgarde-Pianisten Cecil Taylor[1], das seine Beziehung zum Instrument und zur Musik im Allgemeinen völlig verändert. P.A. entwickelt nun die Frage der eigenen musikalischen und künstlerischen Identität und Qualität, die er für sich neue beantworten muss. P.A. spielt deutlich weniger Klavier bzw. keinen traditionellen Jazz mehr, sondern sucht viel mehr nach neuen Klängen und Wege zum Ausdruck seiner Ideen, die er jetzt bewusst mit dem Visuellen verbindet. Konkreter entwickelt P.A. erste Konzepte für verschiedene Besetzungen, die er mit einem selbst organisierten Ensemble, realisiert und aufführt. Diese grafischen Kompositionen entwickeln sich zunehmend zu auskomponierten und ausnotierten Partituren. Zur selben Zeit nach dem C.-T.-Konzert beendet P.A. seinen Klavierunterricht bei Harald Neuwirth, der ihn daraufhin an seinen Bruder Gösta Neuwirth weiterempfiehlt, der einen Lehrstuhl für Gehörbildung in Graz innehat, allerdings auch ein Seminar zur Neuen Musik führt, das allerdings nur sehr spärlich besucht wird. P.A. beginnt zu G.N.s Seminare zu gehen und Unterricht bei ihm in Komposition zu nehmen. P.A. erfährt zu dieser Zeit seinen ersten Kontakt mit Komponisten der Moderne und Neuen Musik, wie Schönberg, Boulez und Messiaen. Auf Anregen G.N. bewirbt sich P.A. erfolgreich an der Wiener Akademie, um ab 1979 Komposition bei Roman Haubenstock-Ramati zu studieren. Weiterhin nimmt P.A. noch parallel Unterricht bei G.N. in Graz. Die Zeit in Wien war für Ablinger schwierig. Er hatte Probleme mit den „klassischen“ Menschen umzugehen, da er sich selbst noch als „Jazzer“ verstand. Zudem hatte P.A. große Probleme mit dem Unterricht bei R. H.-R., da dieser ihn weniger forderte wie es G.N. tat und ebenfalls weniger offen war für Diskussionen über P.A. Komposition. Beide trafen sich gelegentlich im Café, um sich dort auszutauschen und vor allem über Politik zu sprechen. 1982 schloss P.A. das Studium vorzeitig ab, nachdem er sich das meiste Material im Selbststudium angeeignet hatte, nicht zu den Kursen gegangen ist und die Prüfungen vorgezogen hat. Auf Geheiß von G.N. zog P.A. 1982 nach Berlin, um dort von 1982-1990 an einer Musikschule in Kreuzberg zu unterrichten. 1988 gründete P.A. das Ensemble Zwischentöne, das aus Profi und Laienmusiker bestanden und die Frage nach falscher Professionalität und Routine im Zeitalter des Massen(-medien-)konsums kritisch stellt. Das Ensemble hat unteranderem Stücke von Antoine Beuger, Pauline Oliveros, Alvin Lucier únd Sven-Ake Johannson uraufgeführt. Seit 1990 ist P.A. international als Gastdozent und -professor an Hochschulen (u.a. Gastprofessor in Graz (1993), Researchprofessor in Huddersfield (2012-17) und als freischaffender Künstler tätig. Peter Ablingers Musik und künstlerische Prozesse lassen sich anhand seiner Idee des Hörens besser nachvollziehen und direkter kommunizieren. Dabei ist es in erster Linie wichtig zu sagen, dass P.A. immer in visuellen Konstrukten und konkreter in Bildern denkt, die auf einer Ebene mit ihren Klängen verbunden sind. (Bild = Klang und Klang = Bild!) Die sich als zweite Ebene des Hörens herauskristallisierende Ebene des `Dauerzustands des Hörens´, also das permanente Hören von Geräusch und Klängen, die in einer Vielzahl unbewusst aufgenommen werden. Der Hörer ist also von einer absoluten Ausweglosigkeit des Hörens geprägt, die er nicht verlassen kann. Er wird zum determinierten Hörer und zum passiven Objekt degradiert, aus dem er sich nur durch den eigenen Intellekt befreien kann, konkreter durch das bewusste Hören und der Ansprache des Geräusches als Klang in einem Kontext. Somit ist die Beziehung zwischen Klang und Hörer (bzw. nicht-Hörer!) krankhaft, da Erster Zweiten dominiert. Erster ist permanenter als Zweiter, worauf ich im folgenden noch konkreter Bezug nehmen werden. Bereits kurz angerissen ist der Umgang des Hörers mit dem Geräusch und der Ver-Kontextualisierung im Prozess des Hörens durch den Intellekt. Dazu muss zunächst, wie P.A. feststellt, der Klang als interpretierbares Objekt manifestiert werden und als deutbar und kontextualisiert entwickelt werden. Somit nimmt der Klang eine Rolle als perspektivisch ein und bezieht eine selbstständige Position im (nun) musikalisch-klanglichen(!) Kontext. In diesem intellektuellen Prozess durch den Hörer wird dieser nun automatisch selbst-manifestiert, das bedeutet also, dass der Hörer sich seiner Selbstheit im Prozess des bewussten Hörens klar und geordnet wird. Das bewusste Hören ist also immer mit dem Hören und Hinhören des Hörens und Gehörten im engsten Sinne gekoppelt. Um diese Feststellungen P.A.s zu konkretisieren und als Objekt zu manifestieren, führe ich hier nun die Kompositionen aus der Reihe „Sitzen und hören“[2], die seit 1995 entwickelt werden, auf, die sich mit dem bewussten Hören an verschiedensten Orten auseinandersetzten. Dadurch werden die Orte, die kurzzeitig zur „musikalischen Bühne“ neugestaltet werden, dem Hörer auf Dauer als bewussten Hörmoment im Gedächtnis bleiben. Die Rückkehr des Hörers zu diesem Ort führt also unmittelbar zu einer anders-Wahrnehmung der Geräusche an diesem Ort. P.A. bezeichnet diese Orte dann als „listening places“. Als Überleitung vom theoretischen Hören zum konkreten inner-künstlerischen Denkens Ablinger, möchte ich im Folgenden einen kurzen Ausschnitt des Stückes „Orchester und Rauschen“ [3], konkreter ist hier der zweite Satz, „Schönberg und Rauschen“ [4], gemeint, vorstellen. Wie der Titel vermuten lässt, ist ein Rauschen zu hören, das mit einem gleich lauten Orchester, das Schönbergs Musik spielt verbunden ist. Es lässt sich zeitweise u.a. nicht eruieren von welchem Klangkörper welches Geräusch kommt und umgekehrt. Das Orchester scheint in dem Ergebnis aller Klänge unter zu gehen und umgekehrt. Damit haben wir schon einen konkreten Denkprozess von P.A. feststellen können, der des Öfteren einen Verweis auf die Bildende Kunst liefert. P.A. ist also nicht nur in seinem Hören (also Denken!) visuell, sondern auch im Ursprung seines kompositorischen Denkens seit mindestens der1980er Jahre an der Bildenden Kunst gebunden. Dabei lassen sich konkret fünf Zustände und Ideen herausformen, die sich auf P.A Werk anwenden lassen. Zunächst steht der Begriff des Übermalens/Überdeckens, wie gerade gehört, im Fokus, also das Überdecken von Klängen durch und mit anderen Klängen. Man denke beispielsweise an Duchamps „L.H.O.O.Q.“ von 1919, beidem Leonardo da Vincis „Mona Lisa“ mit einem Bart neu verziert wurde! Eine weitere Technik, die unteranderem von Claude Montes im Kontext der „Kathedrale von Rouen“, ist die des Mehrfachmalens des identischen Motivs. P.A. sieht hierin viel mehr ein Verlangen und einen Trieb, der als Ziel hat, die gleiche Komposition zweimal zu schreiben, was daher Verlangen bleibt, da es für ihn bisher nicht möglich war. Einen weiteren Aspekt des Hörens im Kontext der Bildenden Kunst habe ich unter den Begriff der Dimensionalität zusammengefasst. Damit meine ich nicht bloß eine mehr-Ebrigkeit in einem Stück, sondern auch die Mehrdimensionalität in der Wahrnehmung eines Klanges. Der Klang, nach P.A. führt also unmittelbar zu einer räumlichen Figur, die sich nicht nur durch die zeitliche Dimension vollzieht, sondern bereits im Moment existent ist. In einem Stück aus der Reihe „weiss/weisslich 7“ [5]
widmete P.A. Makiko Nishikaze so lange ein weißes Rauschen, bis dieser in diesem ein weißes Quadrat hören, denken und sehen kann. Dazu fließt unmittelbar der Moment der „Harten Kante“ ein, der zwei stark kontrastierende bzw. (auf dem ersten Blick) zusammenhangslose Klänge gleichwertig nebeneinanderstellt. Diese Idee entwickelt P.A. aus den späten 1950er Jahren entwickelten Methodik der „hard edges“, die beispielsweise von Josef Albers in seine mehrere hundert Bilder umfassende „Hommage an das Quadrat/hommage to the square“ behandelt werden. P.A. interessiert sich dabei konkret für den Punkt, der zwischen den zwei Flächen entsteht, also konkret „den Punkt des harten Übergangs“. Dies setzte P.A. beispielsweise in Kompositionen um, in denen abwechselnd Rauschen und Instrument im 40-sekündigen Abstand aneinandergereiht werden. Abschließend lässt sich nun noch der Photorealismus aufführen, der im auditiven Kontext nach P.A. versucht, Umweltgeräusche in das bewusste Hören zu integrieren und im Kontext der Musik zu entwickeln. Dies führt P.A. beispielsweise in dem Stücke „Rua Quinza de Novembro“
[6]
für “eine laute Strasse, 3 Orchestergruppen und 3 Megaphonisten“ auf. Bei diesen Stücken wird die Klangkulisse der „lauten Strasse“ mit den Geräuschen der orchestergruppen vermischt. Es findet also sowohl ein Prozess der Vermischung, als auch ein Prozess der Verknüpfung zwischen außer- und innermusikalischen Strukturen statt. Hier findet der Prozess des Realismus durch die Integration der Umweltgeräusche im Kontext der europäischen Konzerthausmusik statt. Abschließend lässt sich also festhalten, dass P.A. die Methodiken der bildenden Kunst in die Anwendungen seiner künstlerischen Methodiken der komponierten Musik überträgt. Damit verbildlicht sich seine Komposition zu einem gewissen Grad und trägt so die visuelle Toleranz weiter. Diese Verknüpfung zwischen dem Visuellen und dem Klang zu vernichten, wodurch die Musik zum absoluten Objekt wird, ist für P.A. ein unerreichbarer Ur-Wunsch, der sich allerdings mit dem folgenden Thema des Rauschens für P.A. ein Stück auflösen zu scheint. Wir betrachten die Skizze zu „weiss/weisslich 33: Die Farbe der Nähe“[7]. P.A. behandelt in diesem Stück konkret die Beziehung der abnehmenden Distanz eines Mikrophons zu einer gleichlaut bleibenden Klangquelle. Wir erkennen hierbei zum einen die Beziehung des klanglichen Anteils zur visuellen Verkörperung in der Skizze. Klanglich und in der praktischen Umsetzung lässt sich hier der Begriff der „Shaped Canvas“ miteinbeziehen, also die Frage nach der Qualität der äußersten Form und Begrenzung des Mediums. Die Umrahmung des Klanges verändert sich je nach Nähe zur Klangquelle. Auf der anderen Seite scheint es wie ein Herantreten an ein Bild zu sein, das zunächst so klein ist, dass es kaum zu erkennen ist, bis hin zu dem Punkt, an dem der Betrachter so dicht davorsteht, dass jede Faser, jeder Pinselstrich oder jeder Pixel erkennbar ist, aber nicht mehr aus diesem makrokosmischen Kontext hinauszudenken ist, den man soeben noch aus größerer Distanz sehen konnte. Was ist hier dann die Realität? Nun wollen wir eben dieses schon so häufig thematisierte Rauschen behandeln. Zunächst lesen wir P.A.s Definition des „Weißen Rauschens“ und der Charakterzuweisung des Rauschens P.A.s: Rauschen (weißes Rauschen) ist die Gesamtheit der Klänge - "alles immer" in seiner akustischen Darstellung. Weißes Rauschen ist vergleichbar mit weißem Licht, das alle Farben enthält. Es enthält alle Frequenzen und - poetisch gesehen - alle Musik. […] Rauschen ist daher maximale Dichte, maximale Information. Es ist aber auch das Gegenteil: keine Informationen, maximale Redundanz. Für mich ist es weniger als nichts, weniger als Stille. Das Schweigen hat vor langer Zeit aufgehört zu schweigen. Es ist jetzt überfüllt. Voller Ideen, Sentimentalität und Erinnerungen […]. Die Idee von Rauschen ist außerdem nicht leer: Es gibt den Ozean, das Geräusch von Bäumen im Wind, ein altes analoges Radio, das zwischen zwei Stationen eingestellt ist. Der Unterschied zwischen Stille und Rauschen wird deutlich, wenn wir ihm ausgesetzt sind, wenn wir ihm "zuhören".[8]
Nun hören wir P.A. Komposition „Quadrat“ [9], die aus 4 min weißen Rauschen besteht.
Rauschen ist für P.A. eine Ur-Klang, der erste Klang, der dem Menschen als klang-determiniertes Wesen vermittelt wurde und bereits vor ihm existent war.
Rauschen ist also ganz konkret eine Oberfläche, die, in P.A.s Musik verändert, auch in anderen Formen auftreten kann und wird. Mit anderen Formen sind hier konkret andere Charakterzüge gemeint, die auftauchen. Wir erinnern uns zurück an das Stück für Orchester und Rauschen, wo das Rauschen eine andere Identitätsveränderung vollzieht als das bloße Rauschen für sich in dem Stück „Quadrat“, wieder anders wird es klingen in jedem Stück der Serie „Instrument und Rauschen“[10]. Rauschen hat also auch eine Qualität einer akustischen Illusion, die u.a. zur Überbetonung oder Unkenntlichmachung von bestimmten Frequenzbereichen führt. P.A. erste Erfahrung mit Rauschen, wie er darstellt, ist während eines Spaziergangs passiert, als er anfing seine Umgebung bewusst zu hören und die Klänge des Rauschens von verschiedenen Weizensorten zu hören.
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[1] sehr wahrscheinlich vergleichbar mit dieser Aufnahme des Konzerts der Cecil Taylor Unit 1976 live in Montreux: https://www.youtube.com/watch?v=OVCTvHlBVJI (zuletzt aufgrufen am 21.01.2025)
[2] https://ablinger.mur.at/docu01.html (zuletzt aufgrufen am 21.01.2025)
[3] https://ablinger.mur.at/i+r10_orch+r.html (zuletzt aufgrufen am 21.01.2025)
[4] https://ablinger.mur.at/hiddenaudio/i+r_orch+r_schoenberg.mp3 (zuletzt aufgrufen am 21.01.2025)
[5] https://ablinger.mur.at/ww7_square.html (zuletzt aufgrufen am 21.01.2025)
[6] https://ablinger.mur.at/scores/RuaQuinzeDeNovembro.pdf (zuletzt aufgrufen am 21.01.2025)
[7] https://ablinger.mur.at/ww33.html (zuletzt aufgrufen am 21.01.2025)
[8] https://ablinger.mur.at/rauschen.html [vom Autor ins Deutsche übersetzt] (zuletzt aufgrufen am 21.01.2025)
[9] https://ablinger.mur.at/ww7_square.html (zuletzt aufgrufen am 21.01.2025)
[10] https://ablinger.mur.at/werke.html#a4 (zuletzt aufgrufen am 21.01.2025)